Die Tagesstruktur – Teil 1

Nun, es sollte sich endlich etwas tun, bezüglich meines Alltags. Die letzten Monate und Wochen war endlich der Groschen gefallen und ich hatte endlich Klarheit erlangt, was meine Verfassung, meine Arbeitsfähigkeit und meine realistische Zukunft betrifft. Vom Sommer 2017 bis Ende des Jahres hatte ich eine Ausbildung angepeilt, welche im März 2018 beginnen sollte. Es war ein langes recherchieren, informieren und vorbereiten auf diese Ausbildung. Sie sollte 3,5 Monate dauern und eine sofortige Einstellung nach Prüfungsabsolvierung bedeuten. Da diese Ausbildung von diversen Ausbildungsfonds finanziert werden würde, wäre man für mindestens 1 Jahr an den Dienstvertrag gebunden, um sich nicht zu verschulden. So weit, so gut.
Ich holte also alle nötigen Unterlagen und Infos der Förderstelle ein, entwarf ein konkretes Bewerbungsschreiben, schrieb viele Email, besuchte die Infoveranstaltungen und wurde tatsächlich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Ich bekam den Ausbildungsplatz. Es war der 1. Dezember und ich hatte 2 Wochen Zeit, um alle Unterlagen zu bringen, die für die Aufnahme in die Kartei gefordert wurden. Darunter auch Leumundszeugnis, Versicherungsdatenauszug, Maturazeugnis, eine Zusage des Arbeitsmarktservice. Und bei denen begann der Horror schon. Ich ließ mir einen Termin geben, erklärte meine spezielle Lage und erklärte all dies noch einmal bei zwei weiteren Terminen.
Es war kompliziert. Ich beschrieb alles konkret und genau und legte alle Unterlagen und Schreiben vor, die meine Aussagen noch deutlicher erklären, sie sogar beweisen, da dies offizielle Schreiben von der Versicherung und diversen Gutachtern und Ärzten waren. Doch die Mitarbeiterinnen waren nur verwirrt und überfordert und meinten zu guter Letzt, wenn ich denn bereits im Status „arbeitsunfähig“ wäre, sei es einfach, einfach bei diesem Status zu bleiben und mir, sowie den Beamten die Arbeit zu ersparen.
Das war es also. Ich verließ den Raum und knallte die Türe hinter mir zu. Ich war stinksauer.
Die hatten einem arbeitswilligen Menschen, der es wenigstens versuchen möchte, aus der „sozialen Hängematte“ zu steigen tatsächlich geraten, besser liegen zu bleiben, um allen Arbeit zu ersparen.
Die waren tatsächlich der Meinung, dass ich mich darauf ausruhen solle, anstatt jetzt auf zu stehen und „anstrengend“ zu werden, weil ich den Jahrelangen Plan, wieder zurück ins Arbeitsleben zu gehen/ bzw. rein zu schnuppern endlich durchsetzen wollte.
Ich verstehe schon, dass dies in Betracht dessen, dass ich eine Ausbildung machen wollte, die mich dazu verpflichtet hätte, mindestens 1 Jahr arbeitsfähig zu sein, da sonst finanzielle Kosten und Stress auf mich zukommen würden, ein schwieriger Fall war, der Beratung und sorgfältiger Überlegung bedarf. Aber ich verstehe nicht, dass man mir das auf diese Weise beibringen musste.
Fazit: Mein Plan war es, als Langzeitarbeitsloser, der nach vielen Jahren Therapie und gravierenden Verbesserungen in seiner Lebensqualität nun vielleicht arbeitsfähig(er) wäre, einen Versuch zu starten, wie es mit diesem Plan in der Praxis aussehe. Denn theoretisch bearbeite ich das Thema „zurück auf den Arbeitsmarkt“ bereits seit ~2014 mit meinem Therapeuten und habe seither immer wieder Infos eingeholt, Infoveranstaltungen und Bewerbungsgespräche zu verschiedensten Ausbildungen und Berufen besucht, mich unzählige Stunden in verschiedenste Berufssparten und Kurzausbildungen eingelesen. Grob gesagt, seit 4 Jahren ein ständiges neu erfinden meines Wunschberufes, in rauem Zusammenspiel mit meinem realistisch ausführbaren Beruf, denn da geht es leider meist weit auseinander. Immer wenn ich einen Branchenwunsch äußerte, der im Laufe der Therapiesitzungen konkreter wurde, fiel er genau so schnell wieder auf Eis, wie er daraus empor gestiegen war. Und jedes Mal dachte ich, es wäre meine Extravaganz oder eine Art Abgehobenheit, die mich diese Pläne wieder umwerfen ließen. Immer recherchierte und plante, organisierte und bewarb ich mich und kaum war es so weit, kamen Ängste, Zweifel oder greifbarere Faktoren dazwischen, die das UMSETZEN dieses Plans absolut unmöglich machten. Und nein, diese waren nicht, wie gedacht Faulheit oder Stolz. Es waren meine psychischen Eigenheiten.
(Ich nenne es bewusst nicht „Krankheit“, weil diese variieren und eher als Spleens einkategorisiert werden. Sie wurden nie spezifisch diagnostiziert, waren aber schon immer in mir.)

Beispiele:
* Schon als Jugendlicher bewarb ich mich im Verkauf, als Kellner oder Agent. Bei diesen drei Branchen war es zum Beispiel so, dass es eine Handvoll Umstände gab, die mich psychisch absolut fertig machten- und das schon Tage vor meinem Dienst:
– Dass nicht aufs Klo gehen können, wenn ich muss
– Dass „eingesperrt“ sein in einem Raum/Gebäude und sich dabei hilflos fühlen
– Die Angst, der Chef/in könnte mich vor allen anderen anschreien, o.ä.
– Panische Angst Fehler zu machen, zu versagen (Wechselgeld falsch raus geben, etwas fallen lassen, in eine unangenehme Situation mit einem Kunden kommen)
– VOR DEN SOZIALKONTAKTEN (Blicke, Worte, Gedanken, etc. von anderen)

* Neben der Uni war ich lange Zeit Promoter und verteilte Flyer vor der Uni, Theatern, etc.
Auch hier war das Zusammentreffen mit den Menschen das Problem.
Mich störte weder Eiseskälte, noch Nachtdienste, pralle Sonne im Hochsommer, zwielichtige Gassen, das Herumschleppen von rund 10 kg an Flyermaterial… all das war kein Problem für mich.
Aber die Menschen, die sich vor und nach dem Betreten des Gebäudes an mir vorbei drängten, mir oftmals böse Blicke zuwarfen, weil ich ihnen im Weg stand oder ich sie mit meinen Flyern nervte (nur weil ich sie kurz hin hielt), spöttische Kommentare oder gar abwertende Gesten. Vor allem vor den Theatern konnte man die Künstler und ihre eigene Art, die einem sofort auffiel beobachten. Und diese waren oft (nicht immer!) die arrogantesten. Damals war das übel für mich, weil ich doch gerne selbst einer dieser abgehobenen Schauspieler, Autoren oder Musiker geworden wäre und tatsächlich noch den Traum vom Beruf als Künstler vor Augen hatte.

* Oder mein Job in einem Druckerpatronen Shop – ebenfalls neben dem Studium, der mich sehr frustrierte. Ich arbeitete zusammen mit einem Mädchen, dass eine Art an den Tag legte, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. Sie war störrisch, zickig, gemein und hochnäsig… Bis zu dem Moment, wo ein Kunde oder der Chef, dem sie Meterweit in den Hintern kroch den Raum betrat.
Sie hing mir jeden ihrer Fehler an. Egal, was sie vermasselte, die behauptete beinhart, dass ich das getan hätte und das in meinem Beisein. Sie schickte mich, ihr Essen zu besorgen, ihr Kaffee zu holen und ließ mich sogar andere Einkäufe tätigen, die gewiss nicht im Maß der Firmeneinkäufe waren.
Dort blieb ich nur drei Tage und schon die kamen mir vor wie eine halbe Ewigkeit.

* Und mein letzter Job, bis Anfang 2017 war bei einer Firma für Veranstaltungstechnik, die Personal vermittelte. Dort erhielt man Dienste, indem man sie sich online aussuchte und buchte, wo man arbeiten wollte/konnte. Das war ein schönes Jahr, weil ich viel sah und auch viel leistete. Ich war immer zu 120 % bei der Arbeit: Überpünktlich am Veranstaltungsort, flink und verlässlich bei der Arbeit, lernte rasch neues dazu, arbeitete schnell effizienter, dachte sogar für Kollegen mit und ging zur Hand, noch bevor diese um Hilfe gebeten hatten und ließ mich auch zurecht weisen und voran treiben, ohne dies als negativ zu empfinden. Den Stress dort liebte ich. Es gab keinerlei Verschnaufpausen. Es ging zack zack, zügig und ich verlor Literweise Schweiß an diesen Tagen.
Von 2 Stunden Diensten, bis hin zu 12 Stunden Diensten (AM STÜCK! Ohne Klopause oder ähnlichem) war alles drin! Und ich war immer freudig bei der Arbeit und fühlte mich hernach stolz und euphorisch!
Doch die Stunden/ Tage vor den Diensten war der Horror. Ich schlief schlecht, hatte zittrige Knie, keinen Appetit, Symptome, als wäre ich krank. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, auch wenn ich mich ablenkte.
Immer hatte ich Angst, zu spät zu kommen, zu verschlafen (vor allem bei Nachtdiensten), den Weg zum Veranstaltungsort nicht zu finden, Angst Fehler zu machen oder etwas nicht zu können, routinierte Arbeitsgriffe plötzlich zu vergessen, vom Chef oder Kollegen bloß gestellt oder angeschrien zu werden, Equipment versehentlich zu beschädigen, … Ich hatte sogar Angst bzw. Unwohlsein vor eventuellen Gesprächen mit Kollegen außerhalb der Arbeitszeit (also vor Dienstbeginn, wenn man sich versammelte und in seltenen Pausen). So wie in der Schule standen die dann immer alle, rissen ihre derben Witze, rauchten eine nach der anderen, hatten große Geschichten auf Lager und waren die harten Knochen schlechthin, mit Insidern und Fachausdrücken unterhielten sie sich- es fehlten wirklich nur der Kautabak, die Cowboystiefel und der staubige Nebel um sie herum.
Da gehörte ich nicht dazu. Ich stellte mich aus Höflichkeit zwar dazu, wollte aber am liebsten weg von deren Gerede. Ich hatte keine Lust zu zuhören und noch viel weniger, mit zu reden.
Wenn ich auch ein Wort dazu sagen wollte, kam ich mir komisch vor, tat ich es aber nicht, hieß es früher oder später: „Und was ist mit dir, Kleiner. Hast die Zunge verschluckt?“ oder ähnliche Sprüche. Dann bündelten sich alle Blicke an mir und ich stand da und verneinte dämlich grinsend.
Neben den anderen tollen Hechten kam ich mir immer vor wie ein kleiner Nichtsnutz, der sonst durch seinen Humor und seine feinfühlige, freundliche Art glänzt, dort aber nichts damit zu berichten hat.
Oft erzählten sich die Kollegen untereinander, sie hätten schon 50-60-Stunden Wochen gehabt und dass sie nebenbei noch weitere Projekte am Laufen hätten. Sie tauschten ihre Erfolge aus, wie Trophäen und ich stand daneben und war eigentlich nur ein „arbeitsunfähiger“, junger Mensch, der diesen Job nicht des Geldes wegen (denn dies wurde wegdifferenziert von der Versicherung), sondern des Selbstwertes wegen macht und um zu überprüfen, ob er es schaffen könnte, einer Tätigkeit regelmäßig nach zu gehen.
Nach einem Jahr bei dieser Firma sehnte ich mich nach Beständigkeit und wollte mir eine Firma suchen, die mich fix anstellen könne, wo ich immer dieselben Kollegen habe und meine Dienstzeiten etwas genauer planen könne. Ich fand eine Firma und begann Neujahr 2017 dort.
Ich fühlte mich ganz wohl, alles lief gut. Bis auf eine Sache.
Der Typ aus dem Büro (kein Angestellter, sondern seltsamerweise ein Freund vom Chef, der schwarz kassierte) war ein extrem aufgeblasener und hinterrücks fieser Charakter. Er redete abwertend über Frauen, über andere Firmen, über seine Kollegen, über Gott und die Welt. Aber nach vorn hin versuchte er den Charmeur zu geben. Mein Kollege, der mich einschulte und ich verstanden einander prächtig und ich bewunderte ihn sehr. Da er der Dienstälteste und der fleißigste Mitarbeiter dort war, hielt ich mich an all seine Anweisungen und wir waren ein tolles Team. Doch immer wieder nutzte der Bürotyp die Chance, wenn dieser Kollege aus der Sichtweite war und hetzte alle gegen ihn auf. Vielleicht aus Neid, ich weiß es nicht. Er sprach ihm alles ab, lästerte über seine Kompetenz, seine Aussagen, sogar seine Statur und Frisur, einfach alles. Und das, wo der Bürotyp hätte wesentlich erwachsener und reifer sein sollen, wo er uns doch alle weit mit seinem Alter überholte.
Das ging so weit, dass der Bürotyp massiv versuchte mich zu beeinflussen und mir sogar drohte, wenn ich mich nicht auf seine Seite schlagen würde etc. Das war nach 1 Woche schließlich das Tropfen im vollen Fass, was mich ein Kündigungsschreiben verfassen ließ. Ich erklärte dem Chef der Firma, der ein netter Kerl war die Lage ehrlich und erfuhr im Nachhinein, dass ich die Firma und deren Klima gerettet hatte durch meine Aufdeckung eines solch gravierenden Mobbings.
Es hieß, dass sich einiges in der Firma ändern würde und man mich gerne nochmals kontaktieren würde, sobald sich die Lage beruhigt habe, weil man mit mir zusammen arbeiten wolle.
Ein, zwei, drei Monate vergingen. Ich muss ehrlich zugeben, ich wartete die ersten 1-2 Monate tatsächlich ungeduldig auf eine Rückmeldung und hatte vor, zurück zu gehen. Doch als ich mir einen Versicherungsdatenauszug holen musste und darin sah, dass ich nicht einmal versichert gewesen war, obwohl man mich hatte ungesichert 8 Meter über dem Boden hat herum klettern lassen und sich dann selbst die Bezahlung meiner Arbeitswoche dort als ewige Diskussion heraus stellte, beschloss ich, mich lieber fern zu halten.
Als im 3. Monat dann eine Mail kam, verneinte ich dankend und beließ es mit dieser Branche.

Nun ja, und hier schließt sich dann wieder der Kreis mit den versuchten Jobs, bis hin zu der ganz oben genannten als letztes geplanten 3,5 Monatigen Ausbildung, welche mir vom Arbeitsmarkt verweigert wurde.
Das war, wie gesagt im Dezember 2017.
Also konnte ich der Firma, die mich eingestellt und ausgebildet hätte keine vollständige Unterlagenmappe zukommen lassen und war somit ausgeschieden.
Es folgte große Enttäuschung. Noch viele Wochen danach überlegte und bog ich herum, ob ich denn nicht zum nächsten Ausbildungstermin (Sommer 2018) soweit wäre und bis dahin alle Unterlagen erkämpfen und erstreiten könne. Mich arbeitsfähig schreiben lassen könne, dann beim Arbeitsmarkt verschweigen könne, dass ich je arbeitsunfähig war und so einen Start hinlegen.
Doch dieser Plan schien nach reichlicher Überlegung sehr riskant.
Hinzu kam eine tiefe depressive Episode Ende Dezember 2017 und ich verfasste ein Mail an meine Betreuerin bei der Versicherung und erklärte, dass alle Unterlagen und Informationen, die ich ihr die letzten Tage zugetragen hatte hinfällig würden, da der Ausbildungsbeginn für mich doch nicht in Frage käme.
=> Fortsetzung in: „Die Tagesstruktur- Teil 2“

 

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