Während meines ersten Spitalsaufenthalt im Herbst 2011 lernte ich ihn kennen. Beim ersten Morgenspaziergang in der Gruppe, es war sehr kühl draußen, stand er in kurzen Hosen draußen. Ich sah ihn an und sagte: „Ist es nicht zu kalt für kurze Hosen?“ woraufhin er nur mit den Schultern zuckte und unfreiwillig schmunzelte. Über die Wochen hinweg hatten wir einige nette Gespräche und überdrehte Abende im Spital, gingen auch einmal im Wald joggen und verstanden uns sehr gut. Er ist eine große, breite, düstere Gestalt, hat aber einen weichen Kern.
Als er aus dem Spital entlassen wurde, tauschten wir Nummern aus und er staunte nicht schlecht, als ich mich eine Woche später, nach meiner Entlassung wirklich bei ihm meldete. Er meinte, das wäre noch nie vorgekommen, dass sich die Leute dann wirklich nochmal mit ihm treffen wollten.
Doch wir trafen uns. Das erste Mal bei der Donau in einem Lokal „alte Donau“ und darauf folgend immer öfter. Wir machten alles miteinander: Essen gehen, ins Kino gehen (Heilig Abend 2013 waren wir gemeinsam im Kino, statt bei den Familien feiern), bei ihm oder bei mir chillen, Film schauen oder einfach Musik hören und Kaffee trinken, Schwimmen oder Radfahren im Sommer, ins Pub einen Met trinken, und am meisten liebe ich das Spazieren gehen über Stunden hinweg, tagsüber und am liebsten nachts. Dann gehen wir einfach unsere Runde durch den 20., den 21. Und den 22. Bezirk, über die Donau hinweg, durch zwei Parks und eine wunderschöne Reihenhaus Siedlung, bis hin zum Donauturm und über zwei Brücken wieder zurück. Es ist so zwanglos mit ihm. Wenn wir reden wollen, dann reden wir, wenn wir nicht reden wollen, dann schweigen wir eben. Da gibt es keine peinliche Stille zu überspielen, nichts was man nicht sagen dürfte, nichts was einem peinlich sein müsste. Wir haben schon über alles gesprochen: Die Psyche des Menschen, Biologie, Technik, Menschen, Medikamente und Pharmaindustrie, Ernährung, Architektur, Autos, Frauen, Sport, Mathematik, Filme und Serien, Alltagsgeschichten, Wünsche, Träume, Ängste und Zweifel, über Alltagsgeschichten und über alles, was uns gerade so beschäftigt oder wohin uns die Konversation führt.
Manchmal gehen wir in unser Stamm-Pub, sitzen einfach nur da, nippen an unserem Met und beobachten die Menschen und ihre Zwischenmenschlichen Begegnungen, ihre Bewegungen und ihr Verhalten. Wenn einer von uns beiden schlecht drauf ist, dann ist das kein großes Ding, dann tut man, worauf man gerade Lust hat und früher oder später taut der mies gelaunte auf. Wenn wir beide mies gelaunt sind, dann spazieren wir gerne durch die Parks, klagen ein bisschen vor uns hin, bis sich die Stimmung hebt oder auch nicht. Wenn einer von beiden spontan absagt, weil er sich nicht gut fühlt, ist man ihm nicht böse, denn es ist wie es ist.
Mein bester Freund ist ein loyaler Mensch und ich teile seinen bissig-zynischen Humor und den Hang zu düsteren Gedanken. Er hat die Major Depression seit dem Teenager Alter und bekommt starke Medikamente, die ihn mit den Jahren träge und langsam sprechend machen. Dadurch wirkt er aber einfach nur wie ein gemütlicher, sehr beherrschter Bär mit besonders viel Phlegma.
Wir trinken beide gerne Kaffee und wir haben schon so manchen Abend einfach nur im Caféhaus verbracht und zogen nachher, selbst im tiefsten Winter, die Donauinsel entlang und genossen die Menschenleere. Oft haben wir ernste Themen zu bereden und manchmal lachen wir uns krumm, manchmal über erzählte Witze und Zitate, manchmal über spontan ungeplant entstehende lustige Situationen und Aussagen. Für mich ist er mit einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich bereue keinen Tag, den ich mit ihm verbracht habe. Wenn wir länger als 4 Tage gar nichts voneinander hören, ist es schon ein komisches Gefühl. Er ist wie ein Bruder für mich.
Leider sind seine Depressionen nicht sein einziges Laster. Mehrmals jährlich rutscht er in eine Psychose, gepaart mit Wahnvorstellungen, Schizophrenie und Paranoia.
Zum Glück ist er so selbstreflektiert, dass er sich meist selbst einweist, wenn er merkt, dass es ihn wieder erwischt hat und oftmals hatte ich es noch geschafft, ihn ab zu fangen oder ihn auf seinem Weg zur Hilfe zu begleiten.
Seine letzte Psychose im Jänner 2018 war besonders schlimm und ich erlebte sie hautnah mit. Erst wurde er sozialkritisch, politisch und sprach mehr, doch schon bald kamen Ängste auf und er hatte wieder seine Ideen von großen Erfindungen und bahnbrechenden Entwicklungen, die er entdeckt habe. Er fühlte sich von einem Dämon besessen und glaubte, dies nur heilen zu können, indem er kaltes Wasser trinke und nichts esse außer Brot.
Oft kann ich ihn kurzzeitig mit Logik beruhigen und ihm gut zureden, zumal ich der einzige Mensch bin, dem er dann glaubt und dem er vertraut. Langfristig benötigt er dann jedoch professionelle und medizinische Hilfe, die leider meist in der Psychiatrie und mit Unmengen an starken Medikamenten mit tausend Nebenwirkungen endet. Im Jänner begleitete ich ihn zu seinen Terminen, unterstützte seine Mutter bei seiner Betreuung und fädelte seine Regeneration ein. Seitdem ist er im Spital und muss medikamentös erst wieder möglichst optimal eingestellt werden.
Er ist bis zu drei Mal im Jahr für 1-3 Monate im Spital. Leider gelang es den Ärzten bisher noch nicht, die Psychosen langfristig fern zu halten, aber dies scheint schwieriger zu sein, als ein Laie glauben mag.
Vergangenen Sommer war der Schock groß, als ich mehrere Tage nichts von ihm hörte, ihn nicht und nicht erreichte und schließlich zu ihm Heim fuhr, um nach dem Rechten zu sehen. Als niemand öffnete, musste ich die Polizei rufen, die herausfanden, dass er stationär aufgenommen wurde.
Als ich tags darauf zu ihm ins Spital fuhr, stand er da vor mir mit rot unterlaufenen Augen und einer dicken Halskrause.
In seiner Manie war er am Tag der Spitalsaufnahme von deren Balkon gesprungen und hatte sich die Halswirbel angebrochen. Fast drei Monate musste er die Halskrause tragen- schrecklich.
Was da alles hätte passieren können. Ich kam ihn regelmäßig besuchen und war froh, als es ihm wieder besser ging und wir wieder unsere Spaziergänge aufnehmen konnten…
Mit dem besten und treusten Freund, den ich mir je wünschen konnte.
Mein bester Freund
