“Ich habe keine Psychosen, keine Schizophrenie, kein Boarderline, keine Zwangsstörungen, Angststörungen oder Sozialphobie. Ich bin weder manisch, noch depressiv…”
An der Arbeit in der Tagesstruktur merke ich es noch deutlicher. Ich hebe mich mit so vielem ab von meinen Kollegen.
Das einzige, was uns verbindet, ist dass wir (aus diversen Gründen) “arbeitsunfähig” geschrieben wurden und am “ersten Arbeitsmarkt” nicht zurecht kommen.
Das ist alles. Wenn die Kollegen und Kolleginnen sich immer austauschen zum Thema Ängste, Zustände, Alltagsplanung und tausend anderer Themen, merke ich immer, wie sie in in ihren Ängsten, Zuständen, Krankheiten oder ähnlichem gefangen sind.
Kürzlich war das Donauinselfest in Wien und alle meiner Arbeitskollegen meinten, dort würden sie nie im Leben hin gehen, weil sie die Menschenmassen nicht aushielten. Ok, das hat nichts mit psychisch krank zu tun: Manche mögen das, manche eben nicht.
Aber dies ist nur eins von vielen Beispielen, an denen ich merke, dass ich ganz anders am Leben teilhabe, als meine Kollegen.
Es wird mich wohl immer beschäftigen, dass ich mich nicht so ganz einordnen kann.
Ich habe keine Psychosen, keine Schizophrenie, kein Boarderline, keine Zwangsstörungen, Angststörungen oder Sozialphobie. Ich bin weder manisch, noch depressiv…. Ich habe schlichtweg ab und zu Phasen, in denen mir die Menschen furchtbar auf die Nerven gehen, mich ihre Dummheit, Ignoranz und Arroganz anwidert.
Wie nennt man so etwas? Sozialphobie ist es nicht, denn ich gehe ja gern unter Menschen, liebe den Tumult oft sogar. Mich faszinieren Menschen, die Begegnung und die Unterhaltung mit ihnen. Ich habe keine Angst los zu lassen und auch keine Angst, mich zu binden.
Also was ist das sonst? Eine überhebliche Art? Schlichtweg ein phasenweise genervt sein? Ausgeprägter als andere? Oder gehe ich nur anders / falsch damit um?
Ein Mangel an Urvertrauen zum Menschen, der ab und an auf schwappt?
Ist es eine arrogante, uneinsichtige Art meinerseits oder eine Art Melodrama?
Oder ist es wirklich die HYPERSENSIBILITÄT, die mich hin und wieder ergreift und dann mal mehr, mal weniger ein knicken lässt?
Wieso kann meine Stimmung binnen wenigen Minuten so stark schwanken, allein durch Sozialbegegnungen?
Fröhlich am Weg zum Bus, beobachte ich, wie ein Mann seine Frau mitten auf der Straße brutal nieder brügelt, schreit und sie immer wieder schlägt, wenn sie versucht aufzustehen. Die Polizei nimmt ihn zwar fest, aber allein dies zu beobachten, wirft extrem viel in mir um.
Dann pocht mein Herz zum Halse, ich frage mich: “Was ist DAS nur für eine Welt/ für ein Leben?”
Früher wäre ich nach so einer Beobachtung sofort Heim ins Bett gegangen und hätte mich vor Schreck verkrochen und meine Termine/ Verabredungen sausen lassen. Heute erschüttert es mich, lässt mich Nachts vielleicht länger wach liegen als sonst, lässt mich meinen Alltag aber (z.m. nach außen) normal weiter leben.
Dafür können es aber auch schon viel kleinere “Vorfälle” sein, die dasselbe Gefühl von oben auslösen. Ein weinendes Baby im Kinderwagen, das von der Mutter ignoriert wird, weil sie von ihrem Smartphone nicht abhalten kann, um dem Baby nur den Schnuller wieder in den Mund zu stecken. Oder ein Mensch, der seinen Hund droht zu schlagen, nur weil er nicht gleich weiter geht. Oder Jugendliche, die die Füße absichtlich auf den Sessel im Bus legen und sich provokant die Füße abstreifen, nur weil sie bat, die Schuhe unten zu lassen, weil sie sich da gerne hinsetzen würde. 12 Jährige, die rauchen, 90 jährige, die niemanden mehr haben, Menschen, die wie verrückte Auto fahren und damit alle anderen gefährden, PKW, die den Motor unnötig laufen lassen, obwohl sie gerade nicht mal im Fahrwerk sitzen. Menschen, die andere einfach so, weil sie Lust haben schikanieren, ausrauben, verbal attackieren, oder misshandeln.
Stalker, Mörder, Diebe und fahrlässige Fahrer. Drogensüchtige, die alle um Geld bitten, statt sich zusammen zu raffen.
Frauen, die immer wieder mit der selben Art Mann ins Bett gehen, sich dann bei mir ausheulen und meinen, die hätten doch was besseres verdient, als so ein Arschloch und es im nächsten Moment schon wieder tun. Typen, die offensichtlich arrogant und egoistisch sind und dennoch jede Frau ab bekommen und die netten Kerle, die niemals auch nur den Hauch einer Chance erhaschen, dass Frau ihn nicht nur als Kumpel oder gleichwertig einer Freundin einstuft, sondern seine freundlichen Züge als sexy empfindet.
All solche Dinge/ Menschen erschüttern mich. Wahrscheinlich jeden Menschen, aber mich in so einem Ausmaß, dass ich manchmal an aller Menschlichkeit in uns zweifle. Warum tut man solche Sachen?
Warum denken so viele nicht mit? Warum sehen so viele weg? Warum achtet keiner auf den anderen?
Warum immer gegeneinander und nicht miteinander?
Lächerlich? Das sind doch eigentlich die Fragen eines Weltverbesserers. Aber als so einer fühle ich mich gar nicht.
Ich bin weder davon überzeugt, dass ich irgendjemanden ändern kann, noch dass ich die Menschheit verbessern muss.
Mir ist bewusst, dass dies nicht geht. Und trotzdem beschäftigt es mich so oft…
Und auch im Job oder in privaten Gruppen im Gespräch hängt mir nachher einiges an gesagtem im Kopf fest wie Pech.
“Wie hat der eine das denn eigentlich gemeint?” “Hat die das falsch verstanden?” “Der mag mich nicht!” “Die werden sich noch das Maul über mich zerfetzen!” “Die haben sich bestimmt nur über mich lustig gemacht/ mich seltsam gefunden!” “Seine/Ihre Art macht mich krank!”
und mein Klassiker: “Der/die war ungerecht zu mir!!!”
So viele Menschen, die ich frisch kennen lernte, mit denen ich super gut konnte (oder es zumindest dachte): Die Harmonie passte, man sprach und lachte viel miteinander, man schien einander sympathisch zu sein,… Und ZACK: Entweder es schleicht sich ein oder kommt quasi mit einem Schlag, dass mich dieser Mensch furchtbar zu nerven beginnt, mir abartig unsympathisch wird, ich plötzlich fast ausschließlich seine Nachteile und Schwächen sehe und es kaum noch in der Nähe dieses Menschen aushalten kann.
Dies war bereits in jeder meiner Lebenslagen so:
* In der Schule und jedem darauf folgenden Kurs, Lehrgang, in der Uni
* In der Arbeit (ob geringfügig oder vollzeit angestellt
* Sogar auf Partys, sozialen Events und Freizeitbegegnungen
* Selbst im Bus, Restaurant, Kino, EKZ, o.ä. kann ein Mensch auftauchen, der mich mit seiner Art zu schauen, zu reden, sich zu bewegen oder mit seinem Geruch/Gestank in den Wahnsinn treibt. Dann habe ich nur noch diese Person, wie einen Dorn im Auge vor mir, habe Herzrasen, Wut oder Ekel in mir, würde dieser Person am liebsten mitteilen (würde ich in der Realität natürlich nie tun!), was mich an ihr stört und sie am liebsten höchstpersönlich bitten, den Raum etc. zu verlassen.
Ich meine, was ist das für eine Denkweise? Ich selbst bin ein zurückhaltender, immerzu auf Höflichkeit und Harmonie bedachter Mensch, der keiner Fliege etwa zu Leide tun kann und dann hab ich derartige “Machtphantasien”, in denen ich mir vorstelle, das Recht zu haben, eine Person, mit der NUR ich PERSÖNLICH ein Problem habe eines Ortes zu verweisen? Auf was hinauf und mit welchem Recht?
Was würde es mir bringen? Harmonie und Ruhe? Mit so einer arroganten, ungerechten Art?
Es spielt sich freilich, wie schon erwähnt, nur in meinen Gedanken so ab. Ich würde niemals so derart gemein und unangemessen sein!
Mein Therapeut fragte mich letzten Sommer: “Was ist es, was du allgemein am wenigsten ertragen kannst (an zwischenmenschlichen Zügen)?” Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: “Ungerechtigkeit!” Dann erläuterte ich es näher: “Wenn jemandem oder insbesondere mir eine Ungerechtigkeit angetan wird oder ich mich ungerecht behandelt fühle.”
Auf den letzten Abschnitt meiner Aussage gingen wir besonders intensiv ein, denn ich musste erstmal differenzieren, ab wann ich tatsächlich ungerecht behandelt werde und wann ich mich nur ungerecht behandelt FÜHLE.
Viele der Tiefschläge meiner Familie waren pure und gemeine Ungerechtigkeit (woher meine Empfindlichkeit für dieses Gefühl wahrscheinlich rührt!), soweit arbeiteten wir das mal heraus. Wenn der Chef an seinem miesen Tag alle miteinander einzeln zusammen faltet und vor mir keinen Halt macht, es mir also gleich tut, wie bei all den anderen Mitarbeitern, dann ist dies keine direkte Ungerechtigkeit.
Solch einen Vorfall habe ich bereits viele male erlebt, auch in abgewandelter Form im Kindesalter.
15 Kinder am Spielplatz mit der Volksschullehrerin und es passiert, dass sie das Gefühl hat, die Gruppe löst sich auf oder hält sich nicht an die Abmachungen, schimpft einmal kräftig in die Runde. Meine Gedanken damals waren: “ICH war doch eh die ganze Zeit brav!”
Meine Gefühle dabei: “Unverstanden fühlen, ungelobt fühlen, enttäuscht und verbittert…”
Tragischerweise war ich tatsächlich meist das Kind, dass alle Regeln befolgte und viel zu artig war. Es machte mich sogar im Kindesalter schon nervös, wenn sich andere nicht an die Regeln hielten oder etwas taten, was ich für falsch/ schlimm hielt.
Es machte mir regelrecht Angst.
Und bis heute ist es so. Und zeitgleich wütet der Frust in mir, weil ich weiß, dass all jene Kinder und jene Jugendlichen und Erwachsenen, immer MEHR VOM LEBEN hatten als ich. Sie kletterten über den Zaun, schwammen im fremden Pool, hatten sehr viel Spaß und haben bis heute eine Geschichte, die sie lachend erzählen können. Meine Perspektive von der anderen Seite des Zauns ist hingegen nur düster und traurig und das obwohl ich doch das richtige getan hatte: Das verbotene gemieden.
Und doch stand ich nur als Spielverderber da, litt Qualen, während ich da so wartete und fürchtete, er wischt zu werden…
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> FORTSETZUNG FOLGT <