{Text vom 6.7.2018 }
Der große Bruder meiner Freundin feierte seine Hochzeit in einem großen Gasthof Nahe Wien. Womit soll ich anfangen?
Mein Freundin und ich hatten einen großen Streit, bevor wir los fuhren, weil ich wieder mal zu wenig/ gar keine Hilfe im Haushalt bekam und alles schnell Donnerstag Nacht und Freitag Früh erledigen musste.
Vor lauter Wut hätte wäre ich am liebsten gar nicht auf diese Hochzeit (die mich ohnehin nicht interessierte) gefahren. Hätten sie und ihre Tante halt schauen sollen, wie sie ohne Taxiservice hin kommen! Doch als mein Kopf etwas abgekühlt war, wurde mir natürlich klar, dass ich ihr das nicht antun konnte. Also fuhren wir die Tante abholen und dann zum Gasthof. Alles war enorm stressig, weil zig Informationen falsch weiter gegeben wurden von der Familie und wir so in Hektik kamen, ohne dass wir etwas dafür konnten. Aber gut, das war ja nicht das erste mal. Jeglicher Anlass, wo wir mit der Familie meiner Freundin zusammen treffen ist 100 Prozent chaotisch- etwas das mich ohnehin schon wahnsinnig macht.
Dazu kam dann noch das drückend unangenehme Gefühl mit rund 70 fremden Menschen in einem Raum zu sein. Und das natürlich in festlichem Gewand, was ich auch nicht gerne trage, weil ich mich in Anzug und Krawatte einfach nicht wohl fühle.
Der Bruder meiner Freundin ist das Gegenteil von mir: ein erfolgreicher Karrieremensch, reich, selbstbewusst, ausgeglichen und nicht auf den Mund gefallen. Er ist optimistisch und macht sich um nichts Gedanken. Ihm ist egal, was andere von ihm halten und er macht halt “sein Ding”. Sein Selbstbewusstsein ist unantastbar. Selbst vor zwei Jahren (damals war er übergewichtig, versoffen und verschlossen), strahlte er Selbstsicherheit aus und die letzten 1,5 Jahre hat er eine positive Wandlung durch gemacht. Er hatte seine alte Beziehung beendet, hatte Sport getrieben, abgenommen, aufgehört exzessiv zu trinken und hat Ende 2016 eine Frau übers Internet kennen gelernt. Sie hat ein 8 jähriges Kind und die drei verstanden sich so gut und wuchsen so zusammen, dass eben diese Hochzeit zustande kam.
Der Bruder hat in seinem Leben viel erlebt. Er macht eben das, wozu er Lust hat (hat auch die nötige Motivation und Energie dazu!!),
verdient sogar mit seinem Hobby bereits nebenbei Geld dazu, hat einen guten Job und ist schon ewig bei ein und derselben Firma, funktioniert, wenn er funktionieren muss und hat seitdem er die neue Freundin, jetzige Ehefrau hat zu seiner proletarischen, “gscherten” Art eine sehr fürsorgliche, liebevolle Art gewonnen. Vor ca. 1 Jahr fuhr er wiedermal wie ein Verrückter (vermutlich sogar angetrunken, wir wissen es nicht) und fuhr sein Auto zu schrott. Ihm passierte dabei nichts, aber ein neues Auto musste her, was er sich zu seinem sauteuren Motorrad natürlich locker leisten konnte und binnen 2 Wochen hatte er ein nigelnagelneues Markenauto mit vielen Specials und Speziallack… Auch seine Wohnung ist 1 A, Eigentumswohnung mit allem drum und dran. Er liebt teure Sachen und kann sie sich (wie auch immer) ständig leisten. Er will nichts billiges. Alles was man so in Geschäften sieht, was richtig teuer ist, kann man davon ausgehen, dass er es hat. Auch wenn er es nicht wirklich braucht.
Ich freue mich sehr für ihn (und sie), gönne ihnen dieses Glück natürlich von ganzem Herzen!
Jedoch war der Kontrast gestern sehr krass. Meine Freundin und ich, die wir seit über 4 Jahren zusammen sind, die zuvor aber einen höllischen Streit hatten und wohl nie heiraten können, weil mir 1. das Geld dazu fehlt, 2. die Leute, die ich dazu einladen könnte und 3. würde ich mit meinem derzeitigen Status einiges an “Einkommen” verlieren, wenn ich nicht offiziell allein stehend wäre.
Unter den Rund 70 Hochzeitsgästen schienen ausschließlich wohlhabende, extrovertierte Persönlichkeiten zu sein. Es war wie in einem Film. Alle sahen aus wie Schauspieler, geschniegelt und perfekt vorzeigbar. Ich kam mir daneben so blöd vor mit meiner geringen Körpergröße und meinem Anzug. Dann immer wieder die Frage: “Und wer bist du? Zu wem gehörst du und was arbeitest du?”
Es war eine Katastrophe! ACHT Stunden am Stück unter fremden Menschen, die mir alle samt zu Aalglatt vor kamen, die auch noch wissen wollen, womit ich mein Geld verdiene. Tja, ich wollte nicht sagen müssen, dass ich derzeit in einer Werkstatt für Menschen mit psychischen Problemen arbeite. Das geht niemanden etwas an und ich kenne das Stigma mit dem diese Schublade behaftet ist.
Obwohl ich ein sehr geselliger Mensch bin, war mir das gestern nach einer Zeit einfach zu viel. Ich schüttelte so vielen Menschen die Hand und hörte so viele “Geschichten aus den guten alten Zeiten”, die jene Fremden und meine Freundin oder jene Fremden und den Bräutigam betrafen, zu denen ich einfach keinen Bezug und kein Gefühl hatte. Wie denn auch?
Später abends wurde getanzt. Ich forderte auch meine Freundin zum Tanze auf. Doch es war mir schon etwas unangenehm, weil ich mir dumm vor kam. Meine Freundin war, weil sie hohe Schuhe trug, noch größer als sonst und war einen ganzen Kopf größer als ich.
Als sie mich küssen wollte, fühlte es sich für mich so komisch an. Ich weiß, das lag nur an mir und ich sollte dringend daran arbeiten, bevor ich SIE damit verletze, denn sie kann ja nichts dafür, dass ICH Komplexe habe!
Das Hochzeitspaar hatte so viele Menschen um mich, schien so viele Kontakte zu haben, alte Freunde und Freundinnen. Spannende, witzige Geschichten wurden ausgepackt. Bei mir gäbe es keinerlei Geschichten, die man erzählen könnte. Auch würde mich meine Mutter nicht so derart hochloben und auf ein Podest stellen, wie es die Mutter gestern tat.
Meine Familie ist seltsam und Mediengeil, meine Freunde alle samt rar bzw. psychisch angeknackst. Es wäre eine seltsame Hochzeit.
Das Hochzeitspaar, das ohnehin schon ein sehr hohes Einkommen hat, bekam (ich weiß, das ist so üblich) sehr sehr viel Geld geschenkt, Rubbellose, Gutscheine und sogar Anteile an einer Firma. Und ich fühlte mich zwiegespalten, als ich am Tag der Abreise der Rezeptionistin 5€ Trinkgeld gab, weil ich derzeit eigentlich jeden Cent hüten sollte.
Auf einer Hochzeit stellt man sich nunmal die Frage:
Wie würde es hier aussehen, wenn dies MEINE Hochzeit wäre?
Wer wäre alles da? Wie würde ich mich fühlen und mit wem würde ich vorm Traualtar stehen?
Wäre es wirklich die richtige Entscheidung?
Und eben all diese Fragen habe ich mir gestellt. Mit meiner Freundin, die ich am selben Tag der Hochzeit am liebsten verlassen hätte, weil mich die Abneigung kaum noch in ihre Augen sehen lies. Und dann war sie auch noch bei der Hochzeit so komisch. Wie sie mich vorstellte und dann seltsame Witze machte. Sofort so negative Andeutungen. “Das ist mein Freund. Aber er mag keine Gesellschaftsspiele!”
“Das ist mein Freund. Er ist älter als ich!” (PS: Es sind 2 Jahre).
“Jaa, er ist schon sehr höflich, aber Zuhause ist er ganz anders! Haha!”
Sie sagte das wohl alles, weil sie es witzig fand, aber für mich war der Druck so hoch, in den paar Sekunden, die man jeden sieht einen halbwegs guten Eindruck zu machen (was als 166 cm Mann ohne “anständigen” Job ohnehin schon ein Ringen ist!) und das erschwerte sie mir noch, indem sie mich mit negativen Nebensetzen vorstellte.
Auch ein 19 jähriges Mädchen war allein, ohne Begleitung auf der Hochzeit. Irgendwann drehte sie sich am Tisch zu uns und meinte: “Ach, ich habe niemanden zum reden. Hier sind nur Leute, die älter sind als ich oder halt die Kinder!”
Ich verstand diese Aussage absolut nicht. Auch ich (unter 30) unterhielt mich am prächtigsten mit den Leuten über 60.
In ihrem Alter und auch heute, stelle/stellte ich mir nie die Frage, wie alt jemand ist. Wenn ich mich mit ihm/ ihr verstand war das alles, was ich mir erhofft hatte. Ich wollte sie fast fragen: “Und deshalb verstehst du deren Sprache nicht?” Sie tat so, als wäre sie mit ihren 19 von einem anderen Planeten und könnte keinesfalls eine Unterhaltung mit einer 27 jährigen beginnen! Schon sehr sehr seltsam.
“Warum kümmerst du dich um irgendein Alter? Sprich, mit wem du reden willst!” hätte ich ihr sagen sollen.
Aber zurück zu meiner Freundin und ihrer sarkastischen Art, mich allen vorzustellen:
Als ich sie dezent drauf ansprach, warum sie das mache, wurde sie gleich vollkommen aggressiv, meinte ich solle jetzt ja kein Theater machen und dass das alles nur Spaß wäre etc. Wir hatten auch fast einen Streit auf der Tanzfläche, weil ich nicht nur “Diskotänze” tanzen wollte, sondern ein paar schöne Tanzschritte mit ihr machen wollte und das bezeichnete sie als “blöd” und stieß mich weg. Das war mir total peinlich, weil es einfach einen furchtbaren Eindruck macht, wenn jemand das von außen sieht. Als hätte ich etwas verbrochen.
Gegen 23.30 (ca. 1,5 Stunden vor Partyende) ging ich dann ins Hotelzimmer. Zuvor hatte ich mich eh wacker geschlagen. Nett mit den Leuten geredet, mich allen Fragen gestellt, getanzt, gelacht, Fotos gemacht und eifrig Gästebucheintrag gestaltet.
Ich verstehe einfach nicht, warum ich mich so schlecht neben ihm oder anderen Leuten fühle. Das war schon immer so. Ich war gerade mal 7, 8 Jahre alt und kann mich an meine direkten Vergleiche mit anderen erinnern. Ich wollte immer so sein, wie irgendwer anderer. Nie so wie ich. Ich beneidete Klassenkollegen um alles mögliche: Ihr Aussehen, ihre Art, ihre Eltern, deren Haus, ihre Verwandten, ihre Haustiere, ihr Einkommen, ja sogar um den Supermarkt zu dem sie gingen.
Der Neid (der für mir ohnehin schon furchtbar unangenehm ist, wenn ich ihn empfinde) ist sehr zurück gegangen, seitdem ich älter bin, aber um gewisse Dinge beneide ich Menschen schon noch. Es ist weisser Neid (also einer, bei dem man seinem Gegenüber gönnt, worum man ihn beneidet, es sich für sich selbst jedoch auch wünscht). Zum Beispiel empfinde ich Neid, wenn jemand eine große Motivation und Energie hat.
Denn das (und ein Funken Glück) ist das eigentliche, womit man fast alles erreichen kann.
Wenn ich nur mehr Motivation und Ausdauer hätte, hätte ich ebenso eine Ausbildung machen können, einer Firma lange dienen können und selbst wenn solch ein Fundament einmal zerbrechen sollte, dann ist es Motivation, Ausdauer und ein Funken Glück, was man benötigt, um sich wieder auf die Beine zu stellen und etwas neues zu schaffen.
Motivation und Ausdauer (im Sinne von psychischer langfristiger Stabilität) sind leider genau die beiden Dinge, an denen es mir am meisten Mangelt. Vielleicht ist es manchmal auch der Mut und der Wille oder eben das Selbstbewusstsein, an denen es mangelt und weshalb ich nun leider immer noch ein wenig auf der Stelle trete und mich so oft so furchtbar verloren fühle.
Selbst in den Armen meiner Freundin, die ich eigentlich immer lieb(t)e…