Taten folgen

Alleine in einem Wald zu sein, selbst dunkle Ecken und zwielichtige Tierchen zu erforschen und steile Hänge zu beschreiten macht mir keine Angst. Was mir aber Angst macht ist Regelmäßigkeit. Tag für Tag mit den selben Menschen, bei der selben Arbeit unter dem beständigen Druck und dem dauerhaften Stress.
Während eines herrlichen Waldspaziergangs gestern musste ich an eine liebe Klassenkollegin denken, die seit einigen Jahren ein abgeschlossenes Studium und einen Job in ihrer Wunschbranche hat. Ich dachte mir, wie die Zeit vergeht. All meine ehemaligen KlassenkollegenInnen und ich sind noch unter 30 und in der Zeitspanne zwischen Schulabschluss und dem 10 Jährigen Klassentreffen kann man schon so einiges unterbringen an Ausbildung und Karriere, Liebesleben, Erfolg, Gesundheit, etc.
Besagte Klassenkollegin hat diese Zeitspanne genutzt, um eben zu studieren, feilte eines ihrer Hobbies so raffiniert aus, dass sie jetzt sogar bisschen Taschengeld damit dazu verdienen kann und riesige Freude daran hat, hat eine wunderschöne Wohnung, geheiratet und praktiziert seit einigen Jahren in ihrem Job und macht sich einen Namen. Ich bewundere sie sehr. Sie ist ein absolut herzensguter Mensch, faszinierend bis ins Detail und sehr Ehrgeizig.

Ohne es zu bewerten, dachte ich dann an meinen Werdegang in dieser Zeitspanne. Ich freue mich, über all das was ich erreicht habe, auch wenn in der Regel einiges fehlt (Karrieretechnisch gesehen). Und doch wollte ich mir vor Augen halten und mich damit trösten, dass all meine KollegenInnen nach der Schule in diverse Einrichtungen strömten und ihr Studium durchboxten, nebenbei eifrig jobbten und sich zumindest mal den Grundstein für die eigene Wohnung, eventuell einen neues Freundeskreis, etc. schafften.
In der Zeit stolperte ich über 3 Studienfächer, peitschte durch die Welt, ohne zu wissen, was ich will und wer ich bin. Dies bezog sich aber nicht, wie ich dachte auf die Unentschlossenheit bei der Studium-/Berufswahl, mit der fast jeder zu kämpfen hat. Es war etwas viel gravierenderes. Ich kämpfte mit meiner Vergangenheit/ Gegenwart als Pflegekind und der Aufarbeitung diverser Traumata und ich suchte einen Ausweg aus meinem Körper, was all meine Krisen ins Unermessliche trieb. So dumm es klingt, da gehen schon mal einige Jahre spurlos verloren.
Dann kam die Zeit, wo es die Ärzte für sinnvoller befanden, mich ins Spital zu stecken und mit Tabletten zu zu pumpen anstatt das Problem beim Schopf zu packen und mich (nüchtern) in Traumabewältigungstherapien oder ähnliches zu schicken und mir meinen Weg zum “richtigen” Körper zu ebnen, um meinem Geist endlich Ruhe zu verschaffen.
Auch diese Zeit verflog extrem schnell und ich kann mich nicht einmal mehr an alles aus der Zeit erinnern.
Und als es dann endlich so weit war, dass ich die HRT bekam und mich auf die bevorstehenden Operationen einstellte, steckte ich mitten in der zweiten Pubertät und kämpfte mit einem anderen Kaliber an Krisen, Schlafstörungen und unheimlichen körperlichen Veränderungen.
Erst als sich all das (um 2014/2015) etwas gelegt hatte, (damals hatten schon manche ihr Studium abgeschlossen!), konnte ich an Berufswahl und alles drum und dran denken, was sich ja leider sehr kompliziert gestaltete, wegen meines Status, den die Ämter eifrig verteidigten und es mir so nicht leicht machten.
Doch dann kam noch meine “krankhafte” Unentschlossenheit oder Unselbstständigkeit hinzu. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen wollte. In jeder Berufssparte fand ich unzählige Fakten, die mir Angst machten. Ich dachte erst es wären viele verschiedene Dinge, aber im vergangenen Jahr fügte sich das Puzzle zusammen und ich erkannte, dass all diese Dinge eines gemeinsam hatten: Den Menschen.
Es waren die Menschen und die menschlichen Auseinandersetzungen, die mir Angst machten. Dann hieß es erst mal: Aufarbeiten, Selbstreflektieren in der Therapie und in jeder alltäglichen Situation, wo dies Thema war.
Woher kam diese Einstellung? Wie äußert sie sich und was muss ich damit tun? Wie damit umgehen und wie damit leben lernen?

Lange dachte ich, ich hätte einiges schaffen können. Ein Studium zum Beispiel, wenn ich nur meine Krisen nach der Matura nicht gehabt hätte und durch mein Scheitern an den ersten Studien mein Selbstbewusstsein in dem Punkt gestorben wäre. Ich glaubte, ich hätte die Lichttechniker Ausbildung glatt durch gedrückt, wenn mich nur einer genommen hätte und die Branche nicht so auf Vitamin B aufgebaut wäre. Dann hätte ich mich schon spezialisiert und hätte so wie jeder Mensch auf diesem Planeten mein “Spezialgebiet”, etwas worin ich gut bin und somit ein gesundes Selbstbewusstsein. Wie oft wünsche ich mir das: In einem Gebiet der Profi, der Wissende, der Berater zu sein. Gescheit daher reden können, denn das darf ich dann ja, ich habe das ja studiert/gelernt/erfahren. So ein Gebiet habe ich aber nicht. Leider, aber macht nichts. Das kommt ja vielleicht noch…
Ich hätte weder ein Studium, noch eine Ausbildung zum Lichttechniker, noch zum Masseur oder zum Sänger geschafft- das klingt jetzt pessimistisch und frustriert, so ist es aber nicht gemeint. Es ist einfach faktisch festgestellt:
Ich “ticke” anders als andere Personen. Man kann es jetzt als “psychisch krank” bezeichnen oder einfach als “anders funktionierend”.
Ich selbst empfinde mich nicht als psychisch krank. Ich kenne Menschen mit allen möglichen psychischen Erkrankungen und ich arbeite jetzt sogar in einer Einrichtung für Menschen mit psychisches Erkrankungen (egal in welchem Schweregrad, es ist bunt durch gemischt).
Und ich merke, in wie vielen Bereichen des Lebens (vor allem des Soziallebens) ich mich maßgebend von ihnen unterscheide.
Was mich aber nicht von ihnen unterscheidet, ist dass ich es nicht regelmäßig schaffe, verlässlich zu funktionieren und in der Arbeit zu erscheinen (vor allem mit dem Wissen, dass es ja eh geduldet wird, wenn man das ein oder andere mal fernbleibt mit der Begründung “mir geht es heute nicht gut!”).
Nicht dass ich dies ausnutze, aber es verändert meine Einstellung zu der Dringlichkeit mich zusammen zu reißen.
Hinzu kommt, dass die Leute dort zwar sehr feinfühlig sind, was ein absoluter Pluspunkt ist, aber es zeigt auch jeder, wenn es ihm schlecht geht, denn wir sind ja alle dort, weil sie es eben nicht mehr verbergen wollen/ können.
Und so tue auch ich es mittlerweile. Einerseits tut es gut, andererseits bildet sich dadurch auch ein Teufelskreis. Man beginnt seinen Frust/Trauer/depressive Verstimmung etc. auszuleben und kann schwerer aussteigen, als wenn man diese mal überspielen muss und sie so vielleicht sogar für die Zeit des Arbeitstags verfliegt, weil man abgelenkt ist.

Einerseits will ich in dieser Einrichtung nicht gefangen sein, andererseits machen mir andere Konzepte, die nur einen Übergang darstellen und einem wieder auf den ersten Arbeitsmarkt verhelfen wollen mit Programmen wie Arbeitsmarkt-Coaching, Bewerbungshilfe, etc. eine panische Angst. Wenn ich mir vorstelle, in meiner jetzigen Einrichtung würden wir jeden Mittwoch derartige Kurse abhalten, würde ich mich so fühlen, als wollten sie mich raus haben, auf einen Markt hieven auf dem ich hoffnungslos verloren bin und ich hätte keinerlei Vertrauen mehr in deren Konzept.

Ein “seltsames Mittelding”, wie ich es schon in dem gleichnamigen Blogeintrag beschrieb.
Ich gehöre weder zu den psychisch kranken dazu, auch wenn ich mich phasenweise zumindest teilweise mit ihnen identifizieren kann, aber zu den “gesunden” oder sagen wir eher verlässlich funktionierenden gehöre ich auch nicht immer. Mal ja, mal nein. Mal läuft wochen- fast monatelang alles wie am Schnürchen: ich gehe regelmäßig zur Arbeit, gestalte meine freien Nachmittage aktiv und habe Kraft für wirklich alles. Ich stämme sämtliche Schwierigkeiten und fühle mich dennoch ausgeglichen. Und dann…
BUMM wieder eine Phase, in der alles anders ist und mich die kleinsten Hürden in den Wahnsinn treiben, ich schlecht schlafe, zu kraftlos zum Sport treiben bin und nur so vor mich hin jammere. Dann meide ich Sozialkontakte, ziehe mich zurück und auch Wutausbrüche liegen mir nicht fern.
Seltsame Einbrüche, die ich da hin und wieder habe.
Keine Ahnung, ob sie psychischer- oder hormoneller Natur sind, aber sie schränken mich massiv in meiner langfristigen Planung ein. Eine Hochzeit in 6 Monaten, ein Urlaub in 2, ein Praktikum in 1,…. alles Termine oder Projekte, bei denen ich nicht weiß, wie es zu dem zukünftigen Zeitpunkt um mich stehen wird und die daher sehr schwer zu planen sind.

So ist es eben schwer, ein aufbauendes Hobby oder eine Jahrelange Ausbildung zu beginnen. Noch schwerer, einen Job, den man womöglich mehrere Jahrzehnte verlässlich ausführen will. Wenn es mir gut geht, wäre ich in all dem super, aber wenn dann die schlechte Phase kommt, dann mache ich mir all diese Dinge leider immer kaputt, weil ich daran scheitere.
=> Ich habe beschlossen zukünftig wieder verlässlicher bei meiner Arbeit zu erscheinen und auch mein “Leid” dort nicht so zu zeigen, um mich besser aufraffen zu können und mich so selbst davon abzulenken (denn eigentlich ist eine Arbeit auch dafür gut) und ich habe mich kürzlich für ehrenamtliche Arbeit beworben, weil ich selbstloses tun will und dabei lernen will, dass das eigene Leid weit nicht das schlimmste ist und das es sehr heilsam sein kann, einfach für andere da zu sein. Nach Möglichkeit natürlich verlässlich und regelmäßig! 🙂

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