Die schützende Höhle

An manchen Tagen ist es mir unmöglich das Haus zu verlassen.
Es war mir früher gar nicht bewusst, wie sehr mich ein Gemütszustand an zu Hause fesselte.
Dies ist wohl eins der wenigen Dinge, die mich von anderen Menschen (und Normalos) unterscheidet.
Bis vor kurzem dachte ich immer, es wären die Jobs, die mich überforderten oder nervten, weshalb ich die Dienstverhältnisse früher oder später auflöste, aber das hatte ganz andere Gründe, bzw. EINEN Grund, der sich über sämtliche meiner Sozialkontakte in Freundeskreisen, Bekanntenkreisen, ArbeitskollegenInnen, SchulkollegenInnen und sogar schon die Sandkasten-Bekanntschaften legt.
Es sind die Menschen. Es sind die Zwischenmenschlichen Begegnungen, die Worte und Blicke, die ausgetauscht werden…
Von Geburt an bedeuteten Blicke, Berührungen und verbales Kommunizieren nur Leid. Durch Misshandlung und Ablehnung der leiblichen Eltern, emotionale Misshandlung der Pflegemutter und der Pflegeschwester (siehe: “der tyrannische Vater, den ich nie hatte) und Hänselein in der Schule, sowie Beziehungen und Freundschaften zu Menschen, die mein Vertrauen bis ins kleinste Körnchen zermahlten und mich ausnutzen.
Solche Vorfälle in solch einem Ausmaß erschüttert irgendwann und wirft Schutzmechanismen und Verhaltensweisen auf, die man ohne derartiger Beeinflussung eben nicht hätte. Ich erinnere mich und jetzt erst, die letzten Wochen/Monate, fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass mein Problem mit einem Job immer nur die Menschen dabei waren. Die Arbeitsschritte, der Stress, das verlässlich vor Ort sein, selbst “unmenschliche” Arbeitszeiten und Knochenarbeit, stellten für mich nie ein Problem dar. Doch benötigte ich irgendwann einen Grund, um mir (oder sogar anderen) erklären zu können, was denn “jetzt schon wieder los ist”! Also suchte ich die Macken an dem Beruf und den Umständen darin. Lange dachte ich sogar, ich sei faul oder eher ein rebellischer Mensch, der ein Problem damit hat, sich unter zu ordnen, sich gesellschaftlich anzupassen und Druck, sowie Kritik von einem “Arschloch” Chef einstecken muss. Mein Bild von mir veränderte sich noch mehr ins negative, als ich dachte, ich wäre so ein Mensch, der seit Jahren keinen Job hat, nur weil ihm die oben genannten Fakten nicht schmeckten. Furchtbar!

Doch dann erkannte ich etwas: Weder eine Autorität, noch raue Arbeitsumstände jagten mich von all meinen Jobs, sondern es war die Kränkung und der tägliche Druck, mit Menschen zusammen sein zu müssen.
Es ist wie ein Raum, in dem eine Wage steht, in welchen jeder Mensch, der ihn betritt, eventuell eine Erbse rein werfen darf/ wird.
Wird nur alle heiligen Zeiten mal ein Mensch diesen Raum betreten und nur kurz verweilen, so wird nur selten eine Erbse in die Schale der Waage geworfen. Die Trefferrate ist schlichtweg geringer. Doch würden täglich mehrere, 10, vielleicht 20 Leute in diesem Raum herum wuseln, über Stunden hinweg mit Erbsen um sich schmeißen, fiele die Quote wesentlich höher aus und die Waage käme schneller und schwerwiegender aus dem Gleichgewicht.
Und so fühle ich (die Waage) mich, wenn viele Menschen an einem Ort (VOR ALLEM WENN ICH SIE NÄHER KENNE, ALS NUR FLÜCHTIGE IN DER U-BAHN) mit Blicken, lockeren Sprüchen, Stichelein, “nett gemeinter”, aber ungebetener Kritik, Ignoranz und asozialen Aktionen oder einfach furchtbar nerviger, dummer Art (all dies wären die Erbsen) meine leider zart besaitete Seele beladen und sie aus dem Gleichgewicht bringen.
Es läge an mir, mich davon zu distanzieren und ich bin auch nach Jahren der Psychotherapie, Autodidaktischem üben, selbstreflektieren und dauerndem kämpfen und ertragen lernen viel besser darin, sauge aber dennoch viel zu viel davon auf, wie ein Schwamm und leide dann darunter.
Des weiteren, leide ich nicht nur im Moment, sondern vor allem im Nachhinein. Ob ich bewusst versuche, davon Abstand zu halten, die Gedanken meditativ ziehen zu lassen oder mich radikal ablenke, irgendetwas in mir speichert einen – für mich unangenehmen – Vorfall ab, wie ein Foto bzw. einen Videoclip und spielt ihn abertausend Male vor meinem inneren Auge ab. Hinzu kommt dann der Regisseur in mir, der verzweifelt versucht, den erlebten Vorfall zu meinen Gunsten enden zu lassen, indem er das Drehbuch, bzw. die Schlagfertigkeit meiner Figur optimiert. Statt dem kleinen mickrigen Menschen, ohne Mut die Person in der U-Bahn darauf aufmerksam zu machen, dass sein Rucksack seit mehr als 10 Stationen eher auf meinem als auf seinem Schoß liegt, erschafft der Regisseur dann hundert verschiedene mutige Variationen dieser Figur und will sie als “Held” aus diesem Clip hervorgehen sehen. Die Variationen wanken zwischen einem aggressiven & wortlosen Rucksack weg stoßen, über einen gewitzten Kommentar, der den nebenan sitzenden in Scham versetzt, bis hin zum Zyniker, der auf lustige, aber furchteinflössende Art wieder Macht über seine Comfortzone erlangt. Doch ganz gleich welche Vision der Feinschliff hervor bringt, es werden verbale Wortgefechte mit Totschlagargument und Einsicht des “Übeltäters” bevorzugt….

Es folgt ein nicht mehr davon distanzieren können und vollste Identifikation tritt ein.
Jedes Lebewesen strebt danach frei von Leid zu sein und jeder wird nachvollziehen können, dass man aus Selbstschutz die Situation, die einen derart (chronisch) infizieren kann, am liebsten umgangen und vollkommen gemieden wird.

Um dem Regisseur und dem Clip aus dem Weg zu gehen, um nicht die Waage in einem Raum voller Menschen zu sein, suche ich Räume, in denen sich keine Menschen befinden. Obgleich ich hin und wieder sogar den Kontakt zu Menschen suche, ein sozialer und geselliger Mensch bin, scheint mir der dauernde Kontakt mit ihnen nicht gut zu tun…

Und dennoch ist es eine Erleichterung zu wissen, WORAN es liegt und was genau die Erbse in der Schale darstellt.
Trotzdem ist es überlebenswichtig für mich, dieses Problem einzuschränken und bis zu einem gewissen Grad damit leben zu lernen…~

 

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