Die Allgemeinbildung, die man in der Schule verabreicht bekommt und dort immer und immer wieder durch kaut, blieb mir bis zu einem gewissen Grad verwehrt. Es mangelte nicht an der Schule oder dem System in der Schule, dies war wunderbar. Es mangelte an meiner Anwesenheit.
Mein Fernbleiben von der Schule hatte jedoch nicht den spaßigen oder provozierenden Auslöser, sondern einen Zustand, den ich erst viel später in meinem Leben zu benennen lernen sollte.
Es waren diese Morgen, an denen ich den Kopf vom Kissen hob, meine Mutter den Vorhang aufzog und ich den Schatten, den mein Kopf auf das Kissen warf, sowie den Schatten meiner Hände, die auf der Bettdecke auf meiner Brust lagen sah. Der Schatten blieb jedoch nicht auf der Unterfläche liegen, sondern begann fressend, brennend, wie eine Säure eindringend in meine Haut und in meine Knochen zu sickern. Es waren jene Tage, an denen der Schatten eins mit mir wurde und mir seine Existenz auf bürgte, meinen Blick verdunkelte, meine Worte rar und meine Hände kalt machte. Mein Bett empfand den Schatten in mir wohl als sehr anziehend, da es mich im Zustand der Schattenbesessenheit nicht mehr los ließ. Die Bettdecke wurde schwer wie Blei, erdrückte und beschützte mich zugleich.
Der Schatten tauchte zum ersten Mal auf, als ich in die Pubertät kam… zumindest fiel er mir da erstmals auf. Jedoch erinnere ich mich auch an Zustände in meiner Kindheit, wo mich der Schatten zerfraß. Jedoch vergaß ich ihn schneller wieder, aber er tauchte immer wieder auf. Am Spielplatz stand er hinter der Schaukel und bremste meinen Schwung, er verklebte meine bunten Spielsachen mit schwarzem Pech und setzte mich Ängsten und Zweifeln aus.
In der Pubertät kam der Schatten dann immer regelmäßiger. Meist schon beim Augenaufschlagen am Morgen, bis Abends, wo er mich nicht einschlafen ließ. Gedankenkreisen über Zukunftsängste, Verlassen-werden-Phantasien, Existenzängste, also alles in die Zukunft hin, aber auch vergangene Erlebnisse und Traumata warf er immer wieder neu auf und projizierte sie auf eine Leinwand vor meinen Augen.
Mit 19 maturierte ich dann. Ich hatte die Wissenslücken soweit überwunden, aufgeholt oder überspielt, mit Nachhilfe und Stundenlangem Lernen, dass ich es durch die Reifeprüfung schaffte.
Biologie, Geografie und Psychologie wurden meine Lieblingsfächer. Und Englisch (obwohl ich diese Sprache liebe) wurde durch die Lehrerin zum verhassten Fach. Sie mochte auch meinen Schreibstil nicht und zum reden war ich zu scheu. Also ließ sie mich gerade so durch. Das, wo ich zuvor noch Einser in Englisch geschrieben hatte. Die Schule, wo ich mein externes Maturajahr absolvieren musste, empfand ich als furchtbar. Ich nahm mein Mittagessen in der Freistunde auf der Toilette ein, weil ich mich nirgends anschließen konnte oder eher nicht anschließen wollte. Außer dem Biologie-, dem Werklehrer, der Geografie-, und vor allem der Psychologielehrerin, die ich anhimmelte, waren mir die Lehrer und Lehrerinnen sehr suspekt. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, manche MitschülerInnen machten sich über mich lustig. Aber das kann auch nur eine subjektive Wahrnehmung gewesen sein. Ich hatte oft eine lange Leitung für diverse Witze, Sarkasmus und Foppereien. Jedoch keineswegs, weil ich humorlos oder dumm war, sondern weil ich oft so derart in meinen Gedanken verkapselt war, dass ich einige Momente brauchte, um dort auszusteigen und wieder in die reale Welt einzusteigen.
Ich bin zwar lange noch nicht alt, aber selbst heute denke ich mir schon oft:
Ich hätte so viele Bücher lesen sollen (selbst wenn ich gleich heute anfangen würde, könnte ich doch niemals all das lesen, was man „gelesen haben sollte“). Dasselbe bei guten Filmen, bei Klassikern oder interessanten Dokumentationen, bei denen man etwas lernt. Ich hätte so viel studieren können oder eher wollen. Oder keins von beidem. Ich hätte einfach gerne studiert. Inskribiert war ich schon, aber immer in Studienrichtungen, die mir „schön geredet“ oder von außen schon fast aufgedrängt wurden. Mich interessiert so viel, aber mich schreckt das, was mich dann so gar nicht interessiert so dermaßen ab, dass ich trotz hohem Interesse an Medizin, Biologie, Psychologie, aber auch Massage, Lichttechnik, Tiere, Ernährung, Altenpflege, Schreiben, Zeichnen, Singen und Musik machen, Sport und Fitness keine einzige Ausbildung wagte, die ich dann wirklich auch durchzog.
Es ist eine ganze Reihe an Jobs/Ausbildungen, die ich in meinem bisherigen Leben schon in Erwägung gezogen habe:
Schauspieler und Sänger, Psychologiestudium, Biologiestudium, Innenraumgestaltung und Möbelbau, Ausbildung zum Wellness- und Fitnesstrainer, Masseurausbildung, Lehre zum Veranstaltungstechniker (fand aber keine Lehrstelle, nur einen geringfügigen Job als Stagehand und versuchte mich hoch zu arbeiten, jedoch ohne Erfolg. Aber nicht, weil ich nicht fleißig genug war, sondern weil es außerhalb der Möglichkeiten dieser Firma lag! Leider…), Diätologe oder Ernährungswissenschaftler (mit 3 verschiedenen Institutionen bzw. Ausbildungsgraden), Heimhilfe Ausbildung/ Altenbetreuer,…Ja, sogar die Aufnahme zum Fluglotsen habe ich versucht, mit dem Gedanken, wenn ich gegebenenfalls für diesen Beruf gemacht bin, dann werde ich es rein schaffen.
Zu Zeiten, als ich aufhörte, mich zu fragen, was ein Beruf wäre, den ich gerne machen würde und umpolte auf die Frage, bei welchen Beruf man gut verdient, überlegte ich sogar einen Moment lang, eine Lehre als Bankkaufmann zu machen… Ich, eine Person dem Anzüge und Büroarbeit gar nicht liegt. Und das nur aus einem Gefühl der Ausweglosigkeit aus der Ahnungslosigkeit…
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